Letzten September verbrachte ich wieder zwei Wochen mit Fotokollegen und -freunden in Norwegen. Gleich zu Beginn unserer Reise stand ein Besuch im Dovrefjell-Sunndalsfjella Nationalpark am Plan. Außer in Grönland, Alaska und Kanada ist dies der einzige Ort in Europa an dem noch wild- und freilebende Moschusochsen leben! Fast hätte dem Moschusochsen das gleiche Schicksal ereilt wie dem Mammut oder anderen urweltlichen Tierarten, denn sie waren in Europa schon fast ausgerottet!
1947 wurden einige Tiere von Grönland in der Dovre Bergregion erfolgreich wieder angesiedelt. Mittlerweile ist die heutige Population auf ungefähr 300 Tiere angewachsen und hält sich. Neben den Moschusochsen leben auf dem Dovrefjell Hochplateau in Mittelnorwegen viele weitere arktische Tierarten, wie zB. Rentiere, Polarfüchse und einige Vogelarten, wie Goldregenpfeifer und Prachttaucher.
Die Moschusochsen sind unser Hauptziel im Nationalpark und ihnen sind wir auch bald ziemlich dicht auf den Fersen!
Norwegens zottelige Fjellbewohner
Moschusochsen (Ovibos moschatus) sind sehr mächtige Tiere. Sie werden bis zu 1,50 m hoch, bis zu 400 kg schwer und sie zählen zu der Verwandtschaftsgruppe der Ziegen. Die Moschusochsen sind äußerst gut an die Lebensbedingungen in den arktischen Gebieten angepasst. Die Tiere haben ein einzigartiges, mehrschichtiges und zotteliges Fell, das bis fast an den Boden reicht und sie deshalb auch sehr massig erscheinen lässt. Die kräftigen Beine, die Fettpolster, die gekrümmten Hörner, die beide Geschlechter verfügen, und die bei Bullen dicken Stirnschilde, die sie zur Verteidigung nutzen oder bei der Brunft einsetzen, verstärken den mächtigen Auftritt der Tiere. Recht auffallend ist auch der Buckel über der Schulter der Tiere und der große Kopf. Die Moschusochsen leben in Herden von bis zu 30 Tieren.
![Ein Moschusochsenbulle beäugt uns genau.](https://www.sonja-jordan.at/Blog/wp-content/uploads/2020/01/NOR19-59-2.jpg)
Ein Moschusochsenbulle beäugt uns genau.
Auf den Spuren der Ochsen
Es ist schon Nachmittag als wir nach unserer Ankunft in der Hütte am Campingplatz eingecheckt haben. Trotzdem wollen wir rauf aufs Fjell um uns einen ersten Überblick zu verschaffen und wir können es kaum erwarten den Tieren endlich gegenüberzustehen. Der bestmögliche Ausgangspunkt für die Wanderung nach oben ist schnell gefunden und so machen wir uns hoch motiviert auf den Aufstieg. Der Wanderweg führt durch einen kleinen Birkenwald hinauf bis aufs Hochplateau. Dass sich die Tiere auch hier im Wald aufhalten, bemerken wir recht bald an den Hufspuren und an den Hinterlassenschaften der Tiere. Die Spannung steigt! Hinter jeder Kurve oder dem nächsten Baum kann sich der erste Moschusochse aufhalten!
Aber es bleibt bei den eingetrockneten Spuren im Boden und wir erreichen die Hochebene ca. 40 Minuten später. Wir lassen unsere Blicke in die Ferne schweifen und suchen alle Richtungen nach den Tieren ab. Wenn sie ruhig am Boden liegen und sich ausruhen, sind sie von Weitem oft nur sehr schwer erkennbar. Wir kommen mit einem Ehepaar ins Gespräch, das uns aus der entgegengesetzten Richtung entgegenkommt und fragen sie nach einer Moschusochsensichtung. „Ein paar Tiere dort drüben …. sehr weit weg, fast nicht zu erkennen, geschweige denn zu fotografieren….!“, sagt der Mann, als er auch unsere griffbereiten Kameras entdeckt. Ich kann meine kleine Enttäuschung fast nicht verbergen, denn ich hatte mir das ein bisschen leichter vorgestellt.
![Auf der Hochebene angekommen - Der Lebensraum der Moschusochsen.](https://www.sonja-jordan.at/Blog/wp-content/uploads/2020/01/NOR19-17.jpg)
Auf der Hochebene angekommen – Der Lebensraum der Moschusochsen.
Querfeldein
Querfeldein marschieren wir weiter, immer in die Richtung, in die der andere Wanderer zeigte. Ich habe außerdem die Hoffnung, dass wir in der Zwischenzeit vielleicht anderen Tieren begegnen. Immer wieder blicken wir durchs Fernglas – und dann endlich: Ganz weit hinten, am Hang des gegenüberliegenden Berges, kann man ganz klein eine Herde Moschusochsen erkennen, die es sich gemütlich gemacht hatte. Ohne Fernglas sind sie für mich nicht zu erkennen, und ich muss zugeben, auch MIT dem Fernglas habe ich Schwierigkeiten die braunen Fellknäuel als Tiere wahrzunehmen, so weit weg sind sie!
Es ist mittlerweile schon ziemlich spät und wir beschließen wieder zu unserer Hütte zurückzufahren und die Tiere am nächsten Tag wieder aufzusuchen. Immerhin haben wir jetzt eine „heiße Spur“, wir haben die Tiere (weit weg) gesehen und hoffen auf bessere Bedingungen am nächsten Tag.
Die ersten Annäherungsversuche
Als wir am nächsten Tag nach dem Aufstieg wieder am Hochplateau ankommen, suchen wir mit dem Fernglas die Hügelketten ab. Wir erspähen die Herde am gleichen Platz wie gestern! Gemütlich liegen einige Tiere am Boden, während andere rundherum friedlich grasen. Sie haben sich wohl keine 10 m wegbewegt, auch eine andere Herde ist weit und breit nicht sichtbar. Es hilft alles nichts, um die Tiere vernünftig fotografieren zu können, müssen wir natürlich viel näher ran! Und so marschieren wir den Hügel hinunter, stapfen durch den sumpfigen Boden, steigen am gegenüberliegenden Hang wieder hoch und kämpfen uns durchs kniehohe Gestrüpp. Die Tiere sind immer noch sehr weit weg und ich bin mir zu dem Zeitpunkt nicht sicher, ob wir es auf diesem Hang überhaupt in eine fotogeeignete Position und Nähe schaffen…
Wir marschieren trotzdem weiter und irgendwann verlieren wir die Tiere kurz aus den Augen je näher wir kommen, weil sie hinter einer Hügelkuppe liegen. Als ich meine Kollegen eigentlich noch zu einer kleiner „Lagebesprechung“ rufen will, höre ich es hinter mir plötzlich schnauben und laut trampeln. Ich drehe mich um und sehe einen Bullen, der einen Nebenbuhler verjagt. Die Tiere hatten uns zuvor wohl noch nicht bemerkt und laufen in unsere Richtung. Als sie uns plötzlich erblicken, bleiben sie stehen, beäugen uns kurz und im nächsten Moment nimmt die gesamte Herde Reißaus und flüchtet in die entgegengesetzte Richtung davon. Na toll! Zuerst jagen sie mir so einen Riesenschreck ein und dann verschwinden sie komplett!
![Der Bulle hat uns längst entdeckt.](https://www.sonja-jordan.at/Blog/wp-content/uploads/2020/01/NOR19-82.jpg)
Der Bulle hat uns längst entdeckt.
Wieder raffen wir uns auf und marschieren ihnen hinterher. Unglaublich wie schnell diese Tiere laufen können und vor allem wie geländegängig sie hier sind! Etwas langsamer und vorsichtiger nähern wir uns. Die Tiere haben uns ständig im Blick, aber sie fangen immer wieder zu fressen an und legen sich zwischendurch hin. In diesen Momenten können wir uns wieder ein paar Meter nähern, ohne, dass sich die Tiere gestört fühlen. Wir zählen insgesamt 12 Tiere, unter ihnen drei junge Moschusochsen.
Die Herde im Blick
Die ganze Herde wirkt friedlich und wir können sie nun mehrere Stunden lang völlig alleine beobachten und in deren Nähe bleiben. Die meisten Tiere verhalten sich ruhig, die Kühe fressen genüsslich und der Herdenchef hat seine Familie immer im Blick. Spannend ist mitanzusehen, dass ein einzelner junger Bulle immer wieder die Nähe der Herde sucht, er wird aber vom größten Bullen immer vertrieben.
Eisig kalter Wind und kleine Schneeflocken wehen uns um die Ohren, aber es ist toll den Tieren so nah sein zu können und sie zu beobachten und zu fotografieren. Die drei Jungtiere sind besonders lustig anzusehen. Sie laufen ausgelassen herum, spielen miteinander und kuscheln sich immer wieder zusammen. Es scheint fast so als würden sie für uns posieren.
Zwischendurch halten wir immer wieder Ausschau nach anderen Herden, können weit weg aber nur drei andere einzelne Tiere entdecken.
![Die Kleinen kuscheln sich zusammen.](https://www.sonja-jordan.at/Blog/wp-content/uploads/2020/01/NOR19-208.jpg)
Die Kleinen kuscheln sich zusammen.
Wie auch in den letzten Tagen zieht es am späten Nachmittag wieder komplett zu und die Chance auf schöne Lichtstimmungen am Abend schwindet leider immer mehr. Als wir nach einigen Stunden auf der Hochebene ziemlich durchgefroren sind, beschließen wir wieder abzusteigen. Am Abend unterhalten wir uns mit einem anderen Fotografen, der schon seit zwei Tagen vergeblich versuchte einige Moschusochsen auf der Hochebene zu finden. Wir hatten wirklich Glück die Tiere gefunden zu haben, auch die Besitzerin des Campingplatzes erzählt uns bei unserer Abreise, dass sich die meisten Tiere derzeit „weit entfernt“ aufhalten.
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